Das Gefühl, nach über einem Monat, vielleicht sogar länger, wieder eine Tastatur unter den Fingerkuppen zu spüren, fühlt sich gleichermaßen vertraut und fremd an. Gewohnte und einstudierte Bewegungen, die es erleichtern, über die Tasten zu huschen, dann aber wieder das regelmäßige Stocken, weil das Schreiben wie Fahrradfahren ist: der Anfang etwas schwer. Aber tritt man in die Pedale, lässt die Finger tanzen, sausen, schwingen, dann spürt man förmlich den Fahrtwind, der einen weiterbringt und die Buchstaben zu Worte werden, die Worte plötzlich Sätze bilden und Sätze zu einem vollständigen Text zusammenfinden.
Nach einem Monat – fast ungewollter Pause – bin ich wieder hier und fühle mich gleichzeitig so weit in diesem neuen Leben nach dem Umzug, aber auch an die guten Zeiten am Land zurückerinnert, wo alles ein wenig bodenständiger und langsamer war. Ich habe in der letzten Stunde alle Wörterwolkenposts hier auf dem Blog gelesen und kann fast nur darüber schmunzeln, wie sich Perspektiven verschieben und verändern.
So ein Post, der eigentlich viel Bedeutung innehaben sollte und den ich tatsächlich beinahe vergessen hätte, bringt auch irgendwie ein wenig Druck mit sich. Wie soll ich all meine Gedanken in einen halbwegs lesbaren Post zusammenfassen – und vor allem, interessiert das noch jemanden / liest es noch wer, nachdem sich die Interessen auf Instagram verschoben haben und die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird (meine ersten Geburtstagsposts hatten hundert Kommentare, der letzte zwei. Können wir Blogs wieder aufleben lassen, ja? Es wäre so schön und ich versuche es selbst mehr auszuleben, klicke wieder vermehrt meine alten Lieblingsblogs an, nehme mir Zeit, stöbere und lese). Aber ich weiß, ich würde es bereuen, wenn ich diese Worte nur bei mir lassen würde, weil sie sich wunderbar in all die Vorjahre eingliedern werden, in denen ich rund um meinen Geburtstag einfach mal losgelassen habe.
Ich habe mich auf das Jahr 2018 schon das ganze Jahr 2017 gefreut, weil ich gerade Zahlen nun mal lieber habe und achtzehn sowieso neben acht und zwölf eine der schönsten ist. Aber ihr kennt das, oder? Wenn man sich auf etwas sehr freut, dann läuft man Gefahr, dass all die Vorstellungen durch die eintrudelnde Realität getrübt werden. Das wurden sie. So gründlich. Was mir auch wieder vor Augen gehalten hat: Planen kann man im Leben zwar, aber ob es dann auch so kommt, dem kann man sich nie sicher sein. Ich möchte auch gar nicht so sehr im frühen Frühjahr 2018 hängen bleiben; die Zeit war wohl wichtig sie zu überstehen, aus ihr irgendwie geschwächt und gleichzeitig gestärkt hervorzutreten, aber manches hat nun doch nichts hier zu suchen – zumal ich mich mittlerweile wieder auf das Gute besinnen will – und das ist das Jetzt!
Und in diesem Jetzt lagen R und ich am 8.8.2018 in unserem Bett in der neuen Bleibe, in fast völliger Dunkelheit mit einem Gintonic im Bauch, der wohlig wärmte, während die Temperaturen in der warmen Sommernacht sich noch immer gnadenlos oben hielten. Alle zehn Sekunden, nachdem der Handybildschirm sich wieder verdunkelt hatte, tippte ich auf das Display. Ein paar wenige Minuten noch. Die Zeit schmolz und formte sich zu einer neuen Zahl – 9.8.2018 – 00:00 – mein Geburtstag!
Fast ständig bekam ich zu hören, dass dreißig nicht so schlimm sei, dass es das beste Jahrzehnt sei, dass die Angst davor sehr groß war, dass es weh getan hat, dass es eigentlich nur eine Zahl ist. Ihr seht, es war alles dabei. Aber was war es für mich? So mitten in der Nacht war es kaum greifbar, auch jetzt, zwei Wochen später. Es ist, wahrscheinlich wirklich, nur eine Zahl.
Aber vor dieser Zahl habe ich auch ein wenig Respekt, denn standen die Zwanziger in großen Maßen in der Entwicklung meiner Selbst, der Festigung aller Unsicherheiten, des Findens eines Lebensankerpunktes und des Ausprobierens, so habe ich kaum Ideen davor, was nun kommen wird.
Die Zwanziger haben irgendwie nochmals eine ganz spezielle Rolle, so bin ich der Meinung, dass ich mich erst in ihnen gesucht und gefunden habe, alleine die Erkenntnis zu gewinnen, dass man sich selbst tatsächlich auch finden kann, war ein großer Schritt. Jedes Stückchen hat mich schließlich zu dem Menschen gemacht, der jetzt diese Zeilen tippt – und auch wenn manche kaum ertragbar gewesen sind, wenn es viele Tage und Nächte voll Tränen und Schmerz gegeben hat, so ist die Waagschale mit den wundervollen Momenten, auf die ich zurückblicken kann, so massiv schwerer, sodass ich beim Balancieren auf die dunkle Seite mittlerweile leichter die Möglichkeit habe, wieder ins Helle zurückzukehren, weil der Weg durch das mehrmalige Begehen schon befestigter ist. Ich sehe – zurückblickend – die Unterschiede der Prioritäten – anfangs rauswollend, wegwollend, auf das Landleben etwas fluchend bin ich wieder dort angelangt, wovon ich weglaufen wollte – und wahrscheinlich nur, weil ich es von mir selbst wollte. Von ständig durchtanzten Nächten und ganzen Sommermonaten, über stundenlanges Lernen, über die Uni, die eigentlich vom Konzept her nicht das war, was ich gesucht habe, zu meiner jetzigen Freiheit als Lehrerin, in der ich so kreativ sein kann, wie ich möchte und es auch geschätzt wird. Zu müden Freitagabenden, gemütlichen Spieleabenden und einem Gläschen Wein auf der Terrasse in einem Dorf, das nicht mal einen Supermarkt hat – und man es großartig findet! Wahrscheinlich darf man sich tatsächlich auch vom Leben leiten lassen, als das ganze Leben steuern zu wollen. Und eigentlich ist nichts davon vorbei, auch wenn es mir kurze Zeit mal so vorkam. Man kann noch immer diese ausgelassenen Partys oder Feste erleben, fällt aber nicht schmerzlich behaftet wegen dunkler Einsamkeit in einen unruhigen Schlaf, sondern kehrt dort zurück, wo man mittlerweile Zuhause ist.
Anfang zwanzig hätte ich nie gedacht, was diese zehn Jahre mit sich bringen würden. Deswegen setzt auch hier die Vorfreude ein – gepaart mit Ängsten. Wie werde ich in zehn Jahren darüber denken?
Aber das ist so weit weg und wie gesagt – das Jahr hat mir gezeigt, dass man sowieso nichts durchplanen kann, also steht der Anfang der Dreißiger bestimmt auch ein wenig im Zeichen des Loslassens von Sorgen, Ängsten, Hoffnungen, Überlegungen, konkreten Vorstellungen. Wahrscheinlich ist dieses Im-Jetzt-leben wichtiger als je zuvor und das Jetzt gefällt mir bislang ziemlich gut, also kann diese Entscheidung gar keine so schlechte sein.
Ich winke den letzten zehn Jahren fast ausschließlich absoluter Freiheit, in der ich hin und wieder vor allem gefangen in mir selbst war, zu, bedanke mich für den Wachstum und das Erlernte, das ich mitnehmen konnte, all die Erfahrungen und all die Menschen, die mich begleitet haben und es noch immer tun und lasse sie erstmal aus dem Bewusstsein los. Vielleicht für den Moment. Vielleicht für eine Sekunde, Stunden oder die nächsten Wochen. Nehmen kann sie mir sowieso niemand. Weil sie genau eines sind: der Aufbau einer vorhandenen Substanz, meines Seins; dasjenige in mir, das ich nun weiter formen kann – aber bereits mit viel geübteren und sicheren Griffen.
Kommentare
Patricia
Ein wundervoller Post, den ich gern als Inspiration für meinen nehme, den ich schon fest für den 15.09. geplant habe. Meiner wird anders, aber doch ähnlich. Anders, weil wir ja in verschiedenen Lebenssituationen leben. Ähnlich, weil wir ähnlich denken und fühlen. So glaube ich zumindest.
Und: Bei mir wurde noch nie viel kommentiert. Ich glaub, weil ich auch direkt mit WordPress gestartet bin. Lass dich davon nur nicht verunsichern!
Sussy
Wundervoller Text. ♡
Alles Gute noch zur dirtythirty. 😊 Die hab ich nächsten Sommer noch vor mir.
Ich komm auch vom Land, bin ebenfalls in eine Großstadt gezogen und wohne nun auch wieder auf einem Dorf – ohne Supermarkt.
Leider zieht es mich doch wieder in die Stadt.
Ich hoffe, dass der Moment bei euch nicht kommen wird.
Alles Gute im neuen Zuhause und auf ein neues Jahrzehnt voller Abenteuer!
Liebe Grüße
Sussy
(Sussy’s (Mediterranean) Treasures)
Carmen
Ich wünsche dir verspätet noch alles Gute zum Geburtstag!
Vivi
Wie wunderschön geschrieben, liebe Stef. Ich bin selbst noch in diesen Zwanzigern, von denen du schreibst, und fühle mich gerade ein wenig beruhigt, nachdem ich deinen Text gelesen habe. Es ist wie durch die Vorhänge zu lugen und einen kleinen Ausschnitt zu erhaschen, wie das Leben in ein paar Jahren sein kann. Ich mag diese turbulenten Jahre, in denen ich jetzt bin, und würde sie nicht überspringen wollen, gerade weil sie auch so essentiell für die eigene Entwicklung sind. Trotzdem gibt es natürlich, wie du schreibst, neben den Höhen auch die Tiefen, die unsicheren Zeiten, in denen man sich fragt, wird alles okay sein? Dein Text gibt mir das Gefühl, dass es das wird, danke dafür 🙂 Ich lese deinen Blog schon sehr lange (auch wenn ich viel zu selten kommentiere, entschuldige!) und es ist auf eine merkwürdige Weise schön diese Jahre der Selbstfindung, die du zum Teil hier festgehalten hast, aus der Ferne miterlebt zu haben. Das macht wohl das Bloggen aus und genau das würde ich auch nicht missen wollen, Instagram hin oder her.
Alles Liebe nachträglich 🙂
Liebe Grüße
Vivi
Jule
Welch wunderbare Worte! Ich wünsche dir ein tolles, freies und zufriedenes Lebensjahrzehnt…
… und mir selbst wünsche ich, dass ich mich in 1,5 Jahren, wenn ich 30 werde, in einer ähnlichen Lage wie du wiederfinde :).
Alles Liebe,
Jule
Lena
So, dann nehme ich mir auch mal wieder die Zeit, hier einen Kommentar zu schreiben.
Als ich neulich auf Instagram gelesen habe, dass dein 30. Geburtstag ansteht, war ich ehrlich gesagt ganz schön sprachlos. Ich glaube, ich habe angefangen, deinen Blog zu lesen, als du 23 oder 24 warst und irgendwie bist in meinem Kopf immer Mitte 20 geblieben. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht…!
Ich wünsche dir also nachträglich noch alles alles Liebe und Gute und hoffe, dass dich nur das Beste in deinem neuen Lebensjahrzehnt erwartet! 🙂
Es würde mich übrigens sehr freuen, wenn hier wieder öfter Posts eintrudeln. Ich bin auf jeden Fall schon ganz gespannt, wie ihr eure neue Wohnung einrichten werdet. Ich kann es natürlich auch verstehen, dass es vielleicht etwas weniger Spaß macht, wenn nicht mehr so viel Rückmeldung kommt wie noch vor einigen Jahren. Ich denke aber, dass du immer noch eine treue Stammleserschaft hast, die nach wie vor gerne diesen Blog liest.
Liebe Grüße
Frl.Meli
Auf die 30!
Als ich vor 2 Jahren meinen 30. hatte habe ich auch diesen Umbruch in mir selber gespürt. Die 20er haben mich geleitet und gefestigt und dann fragt man sich was nun passieren wird.
Irgendwie denken ich immer das erwartet wird das ich nun vollends erwachsen bin, aber so fühlt es sich innerlich nicht an.
Also bin ich weiter ich. Egal was da für eine Zahl um mich rumwabert und finde es einfach großartig.
Kathrin
Ein ganz wunderbarer Post!
Jule
Ich lese ganz besonders diese langen persönlichen Posts von dir sehr gerne und freue mich, dass du dich dazu entschieden hast genau diesen noch zu schreiben.
Der 3o. ist bei mir Ende September 5 Jahre her und ich fühle mich kein Jahr älter als 28… ich denke der viel gehörte Spruch “Man ist so alt wie man sich fühlt” trifft tatsächlich zu und darüber bin ich sehr froh. Andererseits warte ich immer noch auf den Tag, an dem ich micht wirklich erwachsen fühle. Trotz Beruf, eigener Wohnung und eigenem Auto habe ich immer noch das Gefühl in der “Erwachsenenwelt” nicht angekommen zu sein. Zumal Erwachsensein anders ist, als ich früher immer gedacht habe.
Nadja
Wollte dir einen Kommentar dalassen – bin in den letzten Wochen selber 30 geworden und habe mich in vielen Zeilen deines Textes wiedergefunden. Alles Gute für das neue Jahrzehnt und die neue Wohnung und das neue Leben. Gut siehst du aus, sehr in dir ruhend.
Lisa
Ich freue mich so über deine Worte und kann nur immer wieder sagen, dass ich finde, dass du SO schön schreibst. Ich freue mich, dass du ein wenig das Gefühl hast in der 30 angekommen zu sein und die Einstellung der Erfahrung zuzuwinken und sich zu bedanken, finde ich eine ganz tolle Sache! Bleib wie du bist, leb dein Leben und atme, atme, atme.
Mada
Liebe Steph,
Alles gute nachträglich!
Nachdem du zurecht angemerkt hast, dass ja nicht mehr so viel kommentiert wird, freue ich mich, als vielleicht erste kommentieren zu dürfen. Deinen Blog lese ich seit Jahren sehr gern, allerdings immer still. Also nun: alles gute nachtraglich zum Geburtstag, viel Glück und Freude auf dem weiteren Weg. Ich mag deine ehrlichen und klugen Einträge, und finde mich oft wieder – besonders bei dem was du über den Drang rauszukommens- um zu merken dass ein Zuhause doch das schönste ist, und das größere Glück im Berufsleben statt Studium. Jedes jahr hat bis jetzt etwas selbstbewusster, zufriedener und ruhiger gemacht. Deswegen kann ich gut glauben, dass es in den 30ern genauso weitergehen wird 🙂 und auch wenn die 20er viel dazu beitragen, sich zu festigen, ist es ja wunderschön, dass man immer die Freiheiten hat, auch zu neuen Abenteuern abzubiegen und das erlebte zu schätzen. Vielen Dank für deine immer schönen, ehrlichen, klugen Worte – alles liebe!
Elli
Liebste Stef,
Ich lese deinen Blog jetzt schon seit 7 Jahren, er begleitet mich seitdem ich zwanzig bin. Im Dezember werde ich dann nun 27 Jahre alt und es ist als höre ich einer alten Freundin zu. Beim Lesen dieses Postes musste ich wirklich weinen, weil mich deine Worte sehr berühren. Ich stecke immer noch in dieser Selbstfindungsphase, ich möchte soviel und mache es dann doch nicht. Mein Studium habe ich erfolgreich beendet, wurschtel mich aber gerade von Job zu Job. Ich will reisen, ins Ausland, selber schreiben, alle Kochbücher durch kochen und nächstes Jahr heiraten ich meinen Herzmann ♡…es passiert so viel und ich danke dir für die Aussicht auf Ruhe. Auf innere Ruhe. Ich denke immer, wann bin ich endlich so erwachsen, so wie es alle sind oder wie es alle sehen wollen. Vielleicht ja nie:) aber durch dich sehe ich, dass noch Zeit bleibt. Ich muss mich gar nicht hetzen, die 20er geniessen, mich erden, so wie du es vorgelebt hast. Du bist für mich eine große Inspiration. Ich danke dir für all die Jahre voller Reisen, Lachen, Rezepte und Liebe♡ auf die nächsten 30 !♡
Ich wünsche dir von Herzen alles Liebe
Deine Elli
Mai
Ach was für ein schöner Text! Und jedes Mal, wenn ich solche Texte von dir lese, lässt es die Idee in meinem Kopf entflammen, dass ich auch Zeilen schreiben sollte. Sei es öffentlich oder nicht öffentlich.
Wie auch immer – es ist schön, dass du es immer noch tust! Es mag zwar stimmen, es hat sich alles verschoben zu Instagram. Aber ich weiß, dass das Schreiben und Lesen so seinen eigenen Reiz hat. Und wenn es weniger zu sein scheinen (!), es wird immer jemanden geben, der sich darüber freut, dass du dich öffnest. Auch wenn der Gedanke immer wieder kommt, wer das lesen möge, so schiebe diesen Gedanken auch immer wieder von dir!
Ein schönes neues Lebensjahr wünsche ich ebenso!